Um einen Ausweg nicht verlegen.

Militärhumoreske von O. v. Briesen
in: „Illustrierte Sonntags-Zeitung (Mayener Volkszeitung)” vom 01.01.1899


Bei einem Manöver wurde der Lieutenant Koller, ein tüchtiger und stets zu allerhand Scherzen aufgelegter Officier, eines Tages mit seinem Zuge weit ab von der Truppe detachirt, mit der Anweisung, in einem ihm bezeichneten, isolirt liegenden Gehöft für die Nacht Quartier zu nehmen und am nächsten Morgen nicht zur Compagnie zu stoßen, sondern sich mit ihr erst auf dem Gefechtsfelde zu vereinigen.

Der Hofbesitzer wies den Mannschaften eine Scheunen—;Tenne, auf welcher er eine hohe Schicht prächtiges Stroh gebreitet, als Nachtlager an, während er dem Commando—Führer eine Stube eingeräumt hatte. Da es in der Scheune jedoch viel kühler und angenehmer war, als in dem dumpfigen Zimmer, so verzichtete Koller auf letzteres und theilte den sehr umfangreichen Raum seiner Leute. Infolge der großen Hitze,die den Tag über geherrscht, und der anstrengenden Märsche war alles sehr ermüdet, und zeitig legte man sich zur Ruhe nieder, nachdem jeder sich des Rocks und der Beinkleider entledigt hatte, welche Sachen in ein neben der Tenne befindliches, gleichfalls mit Stroh angefülltes Fach hübsch geordnet untergebracht wurden, damit beim sehr zeitigen Aufbruch am nächsten Morgen nicht lange nach den Kleidern gesucht werden mußte. Auch die Männer erhielten dort ihren Platz, da in dem Berge von Stroh niemand eine Decke bedurfte.

Srht bald lag nun die ganze Gesellschaft in tiefem Schlafe und keine Seele hörte etwas von dem schweren Gewitter, welches sich späterhin entlud. Da plötzlich erfolgte ein fürchterlicher Krach, sodaß die Schläfer entsetzt in die Höhe fuhren und auch sofort auf den Beinen standen. Der Blitz hatte in den Raum, in welchem die Uniformstücke sich befanden, geschlagen, und dieser stand schon im nächsten Augenblick in lichten Flammen, sodaß an ein Retten der Sachen nicht entfernt zu denken war, im Gegentheil, die Aufgeschreckten mußten sich beeilen, die Scheune zu räumen, da das Feuer bereits nach der Tenne herüber züngelte.

So stand nun im Morgengrauen — es war zwischen 3 und 4 Uhr früh — die kriegerische Schaar in Hemdärmeln und Unterbeinkleidern da, einen Stall occupirend, in welchem zugleich die Gewehre zusammengesetzt waren. Die Scheune brannte im Nu mit ihrem reichen Inhalt bis auf den Grund nieder, das Feuer erfaßte jedoch, da sie ziemlich isolirt lag und Windstille herrschte, keine anderen Gebäude, die somit sämmtlich dem Verderben entgingen.

Das Leben hatte Koller mit seiner Mannschaft freilich gerettet, die Adjustirung aber war eine solche, daß man sich in ihr nicht gut vor Menschen sehen lassen konnte. Da man nur noch eine gute Stunde bis zum Ausmarsch Zeit hatte, so mußte der Führer des Detachements äußerst schnell überlegen, auf welche Weise er sich und seine Leute nothdürftig kleiden sollte. Sofort wandte er sich an den anwesenden Besitzer und fragte ihn, ob er so viele alte Säcke besitze, wie sein Zug Köpfe zähle, und als dies bejaht wurde, bat er sich diese aus.

Jeder Füsilier erhielt nunmehr einen Sack, den er unten so weit auftrennen mußte, daß er den Kopf hindurch zu stecken vermochte; ebenso wurden in den Seitennähten Löcher für die Arme geschaffen. Die Tracht, wenig kleidsam allerdings, genügte aber in sofern, als man sich in ihr der Außenwelt zeigen durfte, ohne den Anstand zu verletzen.

Zur befohlenen Zeit stand der Zug in seiner eigenartigen Vermummung mit Sack und Pack da und rückte ab, nachdem man dem Quartiergeber gesagt, er werde nach einigen Tagen seine Säcke zurückerhalten.

Der Terrain=Abschnitt, welcher Koller mit seinem Trupp angewiesen war, bestand aus einem kleinen Wäldchen, dessen Lisière er zu besetzen hatte, und an welches sich linker Hand auf freier Ebene die anderen Züge der Compagnie anschließen sollten. Unterwegs waren der sonderbar ausschauenden Schaar einzelue Landbewohner begegnet, die ganz verwunderte Gesichter geschnitten hatten, als sie die in Säcken einherschreitenden Gestalten erblickten, die sich übrigens selbst wohl etwas komisch in ihrem Aufzuge vorkommen mochten. Von keinem mil ltärischen Auge bisher bemerkt, hatte Koller seine Aufstellung genommen, verdeckt durch die Bäume, als er seinen Chef, hoch zu Roß, an der Spitze der Compagnie heranziehen sah. Sobald die Truppe Halt gemacht hatte, trat der detachirt Gewesene aus seinem Versteck hervor, um seinem Hauptmann die vorschriftsmäßige Meldung über sein Eintreffen und das ganze nächtiche Ereigniß zu erstatten. Als das Pferd des Vorgesetzten, sonst ein sehr ruhiges Thier, die lange graue Gestalt auf sich zuschreiten sah, scheute es dermaßen, daß sein Herr, der gerade nach der anderen Seite blickte, fast aus dem Sattel flog. Herantretend berichtete sodann Koller dem völlig verblüfften Hauptmann:„Melde mich ganz gehorsamst mit meinem Zuge zur Stelle und erlaube mir zugleich anzuführen, daß wir in einem, im Reglement nicht vorgeschriebenen Anzuge erscheinen müssen, da wir infolge Blitzschlags, nur das halbnackte Leben rettend, unsere Blöße nicht anders zu decken vermochten!”

Jetzt wäre der Chef vor Lachem beinahe vom Pferde gefallen, während die Leute der Compagnie vor Vergnügen förmlich brüllten. „Ist Ihr ganzer Zug so carnevalmäßig ausstaffirt?” fragte der Hauptmann darauf den Meldenden.

„Zu Befehl, Herr Hauptmann, es war dies die am schnellsten herzustellende Ersatzkleidung!”

„Na, dann ist Ihre Mannschaft wenigstens gleichmäßig equipirt, und während des heutigen Manövers wird es sich ja zeigen, ob sich eine solche Uniformirung practisch erweist.Während dieser Verhandlung sprengte der Oberst heran, der seine Verwunderung gleichfalls nicht verbergen konnte, einen seiner Officiere in ganz absonderlichem Habit vor sich zu sehen. Nachdem er über den Zusammenhang aufgeklärt worden, rief er dem Hauptmann lächelnd zu: „Halten Sie diesen Zug, wenn möglich, während des Gefechts vor den Augen des Divisions–Commandeurs verborgen, ist er nach Beendigung desselben mit dem Regiment zufrieden, so nimmt er beim Parademarsch auch einen kleinen Scherz nicht übel.”

Es geschah, wie der Oberst gewünscht, und der Sackzug brauchte das bergende Wäldchen nicht zu verlassen. Bei der Kritik äußerte sich der Divisionär ungemein befriedigt über die Leistungen der Truppen, speciell hob er dieses Regiment hervor und lobte ganz besonders den Zug in der Waldlisière, der diese in der umsichtigsten Weise gehalten und namentlich sich so brillant zu decken verstanden hätte, daß auch nicht ein Mann vom Feinde aus, wo er, der Divisionär, längere Zeit verweilt, zu sehen gewesen wäre. „Ich will wünschen,” schloß der Vorgesetzte seine an die Stansofficiere gerichteten Worte, „ daß nun ein trefflicher Parademarsch dem heutigen Manöver die Krone aufsetzzt, damm ordne ich für morgen einen Extra—Ruhetag an.”

Die Regimenter formirten sich zum Vorbeimarsch, bei welchem dasjenige Koller's den Schluß bildete. Obgleich sein eigener Zug nicht an die Queue gehörte, hatte der Oberst diesen Platz ihm angewiesen mit dem Bemerken, wie er erwarte, daß derselbe an Strammheit und Richtung die anderen womöglich zu übertreffen suche.

Auch bei dieser Gelegenheit schoß das letzte Regiment wiederum den Vogel ab, denn Zug für Zug defilirte in wirklich mustergiltiger Weise, sodaß der Divisionär sich mehrmals zu dem an seine Seite galoppirten Oberst mit dem Ausruf wandte: „Vorzüglich, ganz vorzüglich!”

„Was ist denn aber dort?” rief er, sich plötzlich noch mehr umdrehend, dem Commandeur zu, als sich, die Colonne schließend, eine graue Leinewand—Mauer dröhnenden Schrittes in wahrhaft exemplarischer Geschlossenheit und Richtung an seinem Standpunkte vorüber schob.

„Excellenz, das sind meine Sackläufer”, meldete der Oberst, der sich kaum eines Lächelns zu enthalten vermochte,„es ist der ZUG, welcher jene Lisière auf dem rechten Flügel besetzt hielt.” „Eigenthümliche Uniform das, habe eine solche noch nicht gesehen, aber tüchtige Kerls müssen darin stecken”, ließ Excellenz sich vernehmen. Sofort von dem Vorkommniß in Kenntniß gesetzt, mußte der Divisionär Thränen lachen und beorderte den Lieutenant Koller zu sich, um ihn zu interpelliren, wie er auf die Idee einer so originellen Metamorphose gekommen sei. Nachdem er von diesem genaue Auskunft erhalten, fragte er schließlich: „Aber wodurch sind denn in dieser Vermummung Sie und die Unterofficiere äußerlich von den Gemeinen zu unterscheiden?” „Auch dafür habe ich Sorge getragen, Excellenz,” meldete der Verhörte. „Die Säcke sind sämmtlich gezeichnet: Dominium Lorin; während nun die Füsiliere die Firma nach hinten kehren mußten, tragen wir Avancirten dieselbe, wie an mir ersichtlich, vorn auf der Brust.”

„Sehr gut, Herr Lieutenant,” meinte lächelnd der Divisionär, „Sie haben sich nicht übel ans der Patsche geholfen, aber ich denke, wir führen diese Uniform bei uns im Großen und Ganzen vorläufig doch noch nicht ein!”

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